Die Pflege steht angesichts der demografischen Entwicklungen vor großen Herausforderungen. Die Zahl der zu pflegenden Menschen wird von jetzt 2, 4 Millionen auf 3,3 Millionen im Jahre 2030 ansteigen. Vor allem gibt es immer mehr Demenzkranke. Darauf weist unser Fraktionsvorsitzende Heiko Weiershäuser, Kundenberater bei Deutschlands größter Kranken- und Pflegekasse, hin. Um ihnen besser gerecht zu werden, muss endlich der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff umgesetzt werden. Er betrachtet nicht nur körperliche, sondern auch geistige und mentale Fähigkeiten der pflegebedürftigen Menschen. Gleichzeitig fehlen gut ausgebildete Pflegekräfte, und pflegende Angehörige brauchen bessere Unterstützung. All diesen Herausforderungen wird der schwarz-gelbe Gesetzentwurf nicht gerecht. Der in den vergangenen zwei Jahren von den FDP-Gesundheitsministern immer wieder angekündigte große Wurf entpuppt sich als Stückwerk.
3x so viel Steuer-Geschenke für Hoteliers als für Pflegebedürftige
Das Jahr 2011 sollte laut Ex-Gesundheitsminister Rösler (FDP) zum „Jahr der Pflege“ werden. Was sein Nachfolger und Parteifreund Daniel Bahr nun vorgelegt hat, erntet Kritik auf allen Ebenen. In der 1. Lesung des angeblichen Pflegeneuausrichtungsgesetzes nahm die Opposition den schwarz-gelben Etikettenschwindel auseinander. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach, stellt fest, dass die Kritik des Begründers der Pflegeversicherung, Norbert Blüm (CDU), am heftigsten ausfalle. Im dritten Amtsjahr der schwarz-gelben Koalition sei nur ein „Reförmchen“ mit einem Volumen von 1 Milliarde Euro herausgekommen. „In den ersten Tagen der Regierung habe sie dreimal soviel an Hoteliers bezahlt, als für alle zu Pflegenden im dritten Regierungsjahr,“ warf Lauterbach der Regierung vor.
Die Beitragssatzerhöhung um 0,1 Prozent reicht nicht aus
Schwarz-Gelb würde die Kosten einer guten Pflege scheuen, weil ihnen das Projekt nicht wichtig genug sei und sie die private Pflegeversicherung fördern wollten. Dies sei eine Schande angesichts des aktuellen Pflegeberichts der Krankenkassen. Darin wurde festgestellt, dass viele pflegebedürftige Menschen an Schmerzen leiden, die nicht behandelt werden. Viele von ihnen liegen sich wund und sterben an den Folgen. Immer noch werden alte Menschen auch ohne richterlichen Beschluss festgebunden. „20 bis 45 Prozent der Pflegenden erleiden eine Pflege, die nicht angemessen ist“, und dies sei Bahr nicht mehr als einen Halbsatz wert, kritisierte Lauterbach. Dies liege daran, dass „die Pflegebedürftigen nicht die Lobby haben, um von dieser Regierung bedient zu werden“. Das Gesetz sei eine Ohrfeige für Angehörige und schwerkranke Menschen. Die Erhöhung des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung um nur 0,1 Prozent, reiche nicht aus, so Lauterbach..
Schwarz-Gelbes Versprechen eines Gesamtkonzepts nicht eingelöst
Der schwarz-gelbe Gesetzentwurf sei nicht das versprochene Gesamtkonzept, sondern das FDP-Ministerium sei danach verfahren, „wir wollen 1 Milliarde ausgeben, und was kriegen wir dafür“, so beschrieb die stellvertretende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis, das magere Ergebnis. „Ein bisschen was für Demenzkranke, ein bisschen was für Angehörige und vielleicht noch was für alternative Wohnformen.“
Der Fachbeirat hat im Auftrag der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt 2009 nach drei Jahren intensiver Arbeit einen umfassenden Bericht für einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vorgelegt. Seine Umsetzung wollte die Union in der Großen Koalition nicht mehr vorantreiben. Seitdem liegt er in der Schublade der FDP-Gesundheitsminister, und nun will Bahr erneut einen Fachbeirat daran arbeiten lassen. Das bezeichnete die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Elke Ferner zu Recht als „peinlich“. Denn so werde wertvolle Zeit auf Kosten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen verplempert. Die SPD-Fraktion hatte bereits im Frühjahr 2011 ihren Antrag „Neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einführen – Chancen zu nötigen Veränderungen nutzen“ (Drs. 17/2480) eingebracht, der von der Koalition abgelehnt wurde.
SPD liefert Pflegegesamtkonzept
Hilde Mattheis konfrontierte die Koalition mit dem Pflegekonzept der SPD-Fraktion, das im Gegensatz zur schwarz-gelben Flickschusterei, den aktuellen und künftigen Herausforderungen gerecht werde. Daran haben die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit Beginn der Legislaturperiode im engen Dialog mit Krankenkassen, Verbänden und Gewerkschaften gearbeitet.
Ziel der SPD-Fraktion ist es, dass pflegebedürftige Menschen selbstbestimmt leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Denn die meisten von ihnen wollen so lange es geht in den eigenen vier Wänden und in ihrem Wohnumfeld bleiben.
Neue Pflegestufen einführen
„Die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs muss kommen,“ sagte Mattheis in der Debatte. Dafür sieht die SPD-Fraktion auf Basis des vorliegenden Berichts von 2009 ein neues Begutachtungsverfahren und den Ausbau der Pflegestufen von drei auf fünf vor. Praktisch heißt das zum Beispiel, dass nicht mehr nur bewertet wird, ob jemand noch körperlich in der Lage ist, sich allein zu waschen, sondern auch, ob die Person mental in der Lage dazu ist und es nicht vergisst.
Pflegende Angehörige entlasten – Lohnersatz für Pflegezeit einführen
Pflegende Angehörige will die SPD-Fraktion unter anderem durch die sogenannte Kurzzeit- oder Verhinderungspflege entlasten. So können sie eine Auszeit von der harten körperlichen und psychischen Belastung, die Pflege mit sich bringt, nehmen, um sich selbst zu erholen. Aus dem gleichen Grund will die SPD auch die Möglichkeiten der Rehabilitation für Pflegende verbessern. Anders als Schwarz-Gelb, wollen die Sozialdemokraten eine Lohnersatzleistung für die Pflegezeit von Angehörigen einführen. Denn eine unbezahlte Freistellung könne sich zum Beispiel eine Verkäuferin nicht leisten, stellte Hilde Mattheis fest. Deshalb schlägt die SPD-Fraktion eine sechsmonatige Pflegezeit, die flexibel als „1000 Stunden für die Pflege“ bei Lohnersatz beansprucht werden kann.
Ein zentrales Anliegen der SPD-Fraktion ist es, gute Arbeit in der Pflege zu gewährleisten. Dazu gehören vor allem eine ordentliche Bezahlung und ein attraktives Berufsbild sowie eine bessere gesellschaftliche Akzeptanz der Arbeit der Pflegekräfte. Ebenso wichtig ist der SPD eine gute, generalistische und gebührenfreie Ausbildung. FDP und Union würden nur über die Wichtigkeit der Fachkräfte reden, aber nichts für sie tun, so der Vorwurf der Sozialdemokraten. Zudem lasse sich der Fachkräftebedarf nicht nur mit Kräften aus dem Ausland überwinden, schließlich verlange Pflege auch Zuwendung in der Sprache der Pflegebedürftigen, sagte Elke Ferner.
Pflegeberatung vor Ort ausbauen
Ein weiterer Kritikpunkt der Sozialdemokraten: Die Unterstützung so genannter alternativer Wohnformen wie Wohngemeinschaften, die Schwarz-Gelb an ihrem Gesetzentwurf herausstelle, sei bereits im Pflegeweiterentwicklungsgesetz von Union und vor allem von der SPD auf den Weg gebracht worden. Aber eben nicht im Wettbewerb der Pflegebedürftigen untereinander. Sie müssten vielmehr verstetigt und gut organisiert werden. Dazu gehöre eine gute kommunale Beratungsstruktur, die durch die Pflegestützpunkte weiter aufgebaut werden müsse. Dass diese sich dort, wo sie eingerichtet wurden, bewährten, zeigten Beispiele in Rheinland-Pfalz.
Gute Pflege ist mehr wert
Die Sozialdemokraten wollen den Beitragssatz für die Pflegeversicherung um 0,6 Prozent anheben, um ihr Gesamtkonzept finanzieren zu können. Dabei gehe es um die Frage, was der Gesellschaft eine menschenwürdige Pflege wert sei, sagte Elke Ferner. Sie warf dem Gesundheitsminister vor, Zeit zu schinden, um in seiner Amtsperiode kein Geld mehr ausgeben zu müssen.
Die als „Pflege-Bahr“ bezeichnete private Zusatzversicherung bediene laut Ferner nur die Versicherungswirtschaft. Ihre Ausgestaltung sei noch völlig unklar. Die Fraktionsvizin verwies darauf, dass die Versicherungsunternehmen eine Risikoprüfung der Versicherten vornehmen würden. Was dazu führen werde, dass sich ältere und kranke Menschen die Policen nicht leisten könnten. Für sie sei die Zusatzversicherung auch mit dem geplanten „Minizuschuss“ nicht zu finanzieren.
Aus Sicht der Sozialdemokraten muss eine umfassende Pflegeform als gesamtgesellschaftliche Aufgabe heute die Pflege verbessern und die Strukturen für morgen schaffen. Deshalb wollen sie eine Bürgerversicherung Pflege einführen, in die jeder nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einzahlt.